Weil bis gestern aus verschiedenen Gründen immer die Stunden in einer Klasse ausgefallen sind, habe ich erst gestern die letzte meiner Klassen zum ersten Mal gehabt. Aber diese eine Stunde war tatsächlich noch sehr wichtig, und jetzt kommt eine kleine Reflexion über das französische Schulsystem, den Unterricht usw., die sich wahrscheinlich nur Interessierte anschauen sollten ...
Die Ausgangssituation
Ich habe insgesamt 16 verschiedene Klassen (regulär; daneben war ich aber auch schon zusätzlich in zwei anderen Klassen) mit acht verschiedenen Lehrern und Lehrerinnen in zwei verschiedenen Schulen (Collège, das ist die Schule für Elf- bis Fünfzehnjährige; Lycée, das ist die Schule für Fünfzehn- bis Achtzehnjährige, die mit dem Baccalauréat, der Matura, abschließt; und dann bin ich noch alle zwei Wochen eine Stunde in einem BTS-Lehrgang, der ins Lycée eingebunden ist und auf das Baccalauréat aufsetzt). Die Schüler und Schülerinnen, die ich habe, sind zwischen 13 und 20 Jahre alt. Ich könnte hier also einen noch viel längeren Post verfassen, aber man muss es ja nicht übertreiben ...
Das Schulsystem
Übers Schulsystem will ich nicht allzu viel schreiben, weil ich es nur in Grundzügen kenne und ich mich nicht tiefgehend damit auseinandergesetzt hab. Eine Sache, die es vom österreichischen Schulsystem unterscheidet (und die ich auch gut find), ist dass nicht schon mit zehn Jahren getrennt wird, sondern alle eine gemeinsame Schule bis fünfzehn besuchen.
Neben den Lehrern und Lehrerinnen gibt es noch viel anderes z. B. psychologisches, medizinisches, administratives Personal usw. Mit denen hält sich mein Kontakt aber auch in Grenzen, daher kann ich auch nicht wirklich was sagen. Außer dass die Verwaltungsabteilung im Vergleich zu österreichischen Schulen sehr groß ist. Wundert mich aber auch nicht, wenn ich daran denke, was da an Papier produziert wird - ich hab grad viermal denselben Vertrag unterschrieben, obwohl es eh nur zwei Vertragsparteien gibt; als ich einen anderen Zettel über statt unter meinem Namen unterschreiben wollte und von der Phrase lu et approuvé (gelesen und genehmigt) schon die ersten zwei Buchstaben geschrieben hatte, musste die Mitarbeiterin der Verwaltung noch einmal alles ausdrucken.
Das Niveau der Schüler und Schülerinnen
Nach dem Vorbereitungsseminar in Sankt Pölten war ich auf das Schlimmste gefasst, weil dort viele gesagt hatten, dass das Niveau der französischen Schüler und Schülerinnen im Vergleich zu den österreichischen niedrig ist. Deshalb war ich wahrscheinlich auch positiv überrascht.
Da ich direkt an der luxemburgischen Grenze unterrichte und sehr viele aus meiner Region in Luxemburg arbeiten wollen und sie dafür Deutsch können müssen, lernen viele Deutsch als erste Fremdsprache, also noch bevor sie Englisch lernen. Außerdem bin ich in ein paar "Euroklassen", in denen es neben den regulären drei Deutschstunden pro Woche noch zwei zusätzliche Stunden gibt. Und die sind wirklich gut (ganz allgemein halt), selbst im Collège werden mit Dreizehnjährigen Kunstwerke analysiert, fiktive Radiosendungen aufgenommen und Zitate wie "Ich kaufe, also bin ich" interpretiert.
Ein Gegenbeispiel ist eine Klasse im Lycée, die Deutsch als zweite Fremdsprache gewählt hat und die aus irgendeinem Grund, den ich nicht verstanden habe, im Vorjahr keinen Deutschunterricht gehabt hat (es ist also in Wirklichkeit das zweite Jahr, in dem die Klasse Deutsch lernt, aber noch dazu mit einem Jahr Unterbrechung); die Schüler und Schülerinnen haben wirklich nur ganz geringe Deutschkenntnisse im Vergleich zu dem, was sie eigentlich können sollten. Aber das ist eher die Ausnahme. Und ich meine, auch in Österreich gibt es viele, die jahrelang eine zweite Fremdsprache lernen und trotzdem keinen geraden Satz herausbringen ...
Was meiner Meinung nach schon anders ist: Es gibt irgendwie keine mittelmäßigen Schüler. Es gibt nur gute und solche, die gar nichts können. Selbst im BTS, wo alle Studenten und Studentinnen das Baccalauréat abgeschlossen haben und mehrere Jahre Deutsch gelernt haben, hat eine Studentin, nachdem ich nur die zwei Sätze "Ich heiße Florian" und "Ich komme aus Österreich" gesagt habe, gemeint, sie verstehe überhaupt nichts, weil das deutsch sei, und das verstehe sie halt nicht.
Der Unterricht
Der Schüler und Schülerinnen im Collège sind sehr viel aktiver als im Lycée, sie machen viel mit, sie sprechen viel usw. Im Lycée sind sie im Allgemeinen eher passiv (das kommt natürlich auf die Klasse an). Das liegt vielleicht auch an der vorherrschenden Unterrichtsform. Der Unterricht ist vorwiegend frontal bzw. fragend-entwickelnd, aber auf jeden Fall sehr lehrerzentriert; es gibt sogar einige Klassenräume, die auf diese Lehrerzentrierung ausgerichtet sind, weil es vorne an der Tafel ein Podest gibt, auf dem der Lehrer oder die Lehrerin stehen kann (das macht aber eh keiner von denen, mit denen ich dabei bin).
Jetzt ist meiner Erfahrung nach auch in Österreich lehrerzentrierter Unterricht üblich, bei dem der Lehrer oder die Lehrerin mit ein paar guten Leuten aus der Klasse redet und der Rest der Klasse zuhört oder nicht zuhört und stört oder nicht stört (und da würde ich meinen eigenen Unterricht nicht einmal ausnehmen); aber hier habe ich ein kleines Spiel ausprobiert, bei dem es nur darum gegangen ist, dass Bilder und Texte, die ich in der Klasse ausgeteilt habe, einander zugeordnet werden müssen, d. h., die Schüler und Schülerinnen mussten aufstehen und sich in der Klasse bewegen und bildeten dann mit jemand anderem ein Paar. Und da haben zwei Lehrerinnen zu mir gemeint, dass das so gut angekommen sei, weil das einmal was ganz anderes sei; und so aufsehenerregend hab ich das aber auch wieder nicht gefunden, ich glaub, dass diese Art von Arbeit nicht ganz unüblich ist in Österreich.
Ein Lehrer hat einmal zu mir gemeint, dass es seiner Meinung nach eines der größten Probleme in französischen Schulen ist, dass die Schüler und Schülerinnen nicht aktiv sind, und gerade im Sprachunterricht ist es ein Problem, wenn sie nichts reden. Ich denke mir das auch oft: Wenn sie - wenn überhaupt - einen Satz pro Stunde sagen, reden sie pro Woche drei Sätze auf Deutsch. Die Aussprache der Schüler und Schülerinnen ist dann generell auch eher schlecht, aber auch das kommt natürlich drauf an, wie viel sie reden, und auch hier in Frankreich arbeiten immer nur dieselben Leute mit.
Im Allgemeinen hab ich manchmal den Eindruck, dass sich die Lehrer und Lehrerinnen hier noch mehr unter Druck sehen, den Stoff "durchzubringen". Wenn ich sage: "Schau, ich hätte da etwas zu dem oder dem Thema, was ich machen könnte", wird es oft einmal dahingehend geprüft, ob es eh gerade in den Stoff hineinpasst. Also auch so tendenziell, nicht bei allen ist das so. (Für diejenigen, die meine Meinung dazu nicht kennen: Alles in einem Schuljahr "durchzumachen" dient mehr der Lehrkraft, die dann zufrieden sein kann, dass sie alles geschafft hat; das heißt aber noch lange nicht, dass der Stoff auch bei den Schülern und Schülerinnen angekommen ist. Sich über längere Zeit intensiver mit etwas zu beschäftigen, heißt vielleicht, dass man nicht hundert Prozent des Stoffes "durchgebracht" hat, aber dass das, was man gemacht hat, auch wirklich sitzt. Und einmal etwas zu machen, was vom vorgegebenen Thema abweicht, kann meines Erachtens manchmal sinnvoller sein, weil man unter Umständen mehr auf die Lebenswelt der Schüler und Schülerinnen eingehen kann, Betroffenheit erzeugen kann und sie sich somit am Ende mehr mit der Sache identifizieren. Die Einstellung liegt aber vielleicht auch an den externen Prüfungen, auf die hingearbeitet wird.)
Kurzes Update (Dezember): Der Eindruck hat sich mittlerweile gelegt. Ich mache jetzt auch oft Inhalte, die nicht genau in den durchzunehmenden Stoff passen.
Das Niveau der Lehrer und Lehrerinnen übrigens ist meiner Meinung nach sehr gut (das widerspricht manchen anderen Erfahrungsberichten, die ich gehört habe). Natürlich kommt es vor, dass sie einmal einen falschen Artikel oder so verwenden, aber schließlich ist Deutsch nicht ihre Muttersprache, und es wäre ja nicht so, dass wir in unserer Muttersprache immer alles richtig machen ... Im Unterricht selbst sprechen die meisten so viel wie möglich deutsch (auch das widerspricht den Erfahrungen von anderen Leuten, wo nur französisch geredet wird und der Unterricht außer ein paar Sätzen an der Tafel deutsch-frei ist).
In Frankreich hat nicht die Klasse einen Raum, sondern jeder Lehrer und jede Lehrerin, und die Klassen gehen zu ihnen. Im Collège werden die Klassen in der Früh vom Schulhof abgeholt. Und: In einem Standort unseres Lycées werden sogar die Abschlussklassen von der Lehrerin abgeholt, was wenigstens nicht nur ich, sondern auch die Lehrerin seltsam findet.
Werden die Schüler und Schülerinnen als unreif angesehen? Das würde ich jetzt nicht so sagen, aber man könnte schon ein bisschen den Eindruck bekommen. Ich habe in einer Klasse (Alter: 16 Jahre) eine Stunde über Musik in Deutschland und Österreich gemacht und habe dabei das Video zu "Leider geil" von Deichkind hergezeigt. (Es ist übrigens gut angekommen.) Danach hat mich die Lehrerin gebeten, dass ich dieselbe Stunde noch einmal in einer anderen Klasse halte (Alter: 17 Jahre), aber ohne das Video, unter anderem weil darin eine Szene mit einer Katze und einem Hund vorkommt, die sie 17-Jährigen nicht zeigen will (16-Jährigen aber schon; versteh ich nicht ganz). Eine andere Lehrerin hat gemeint, sie habe Angst vor den Reaktionen der Eltern, wenn die Schüler und Schülerinnen von dem Video erzählen. Naja, hab ich halt "Ein Kompliment" von den Sportfreunden Stiller hergezeigt. Ist auch ganz nett, ist aber nicht gut angekommen.
Jetzt ist meiner Erfahrung nach auch in Österreich lehrerzentrierter Unterricht üblich, bei dem der Lehrer oder die Lehrerin mit ein paar guten Leuten aus der Klasse redet und der Rest der Klasse zuhört oder nicht zuhört und stört oder nicht stört (und da würde ich meinen eigenen Unterricht nicht einmal ausnehmen); aber hier habe ich ein kleines Spiel ausprobiert, bei dem es nur darum gegangen ist, dass Bilder und Texte, die ich in der Klasse ausgeteilt habe, einander zugeordnet werden müssen, d. h., die Schüler und Schülerinnen mussten aufstehen und sich in der Klasse bewegen und bildeten dann mit jemand anderem ein Paar. Und da haben zwei Lehrerinnen zu mir gemeint, dass das so gut angekommen sei, weil das einmal was ganz anderes sei; und so aufsehenerregend hab ich das aber auch wieder nicht gefunden, ich glaub, dass diese Art von Arbeit nicht ganz unüblich ist in Österreich.
Ein Lehrer hat einmal zu mir gemeint, dass es seiner Meinung nach eines der größten Probleme in französischen Schulen ist, dass die Schüler und Schülerinnen nicht aktiv sind, und gerade im Sprachunterricht ist es ein Problem, wenn sie nichts reden. Ich denke mir das auch oft: Wenn sie - wenn überhaupt - einen Satz pro Stunde sagen, reden sie pro Woche drei Sätze auf Deutsch. Die Aussprache der Schüler und Schülerinnen ist dann generell auch eher schlecht, aber auch das kommt natürlich drauf an, wie viel sie reden, und auch hier in Frankreich arbeiten immer nur dieselben Leute mit.
Im Allgemeinen hab ich manchmal den Eindruck, dass sich die Lehrer und Lehrerinnen hier noch mehr unter Druck sehen, den Stoff "durchzubringen". Wenn ich sage: "Schau, ich hätte da etwas zu dem oder dem Thema, was ich machen könnte", wird es oft einmal dahingehend geprüft, ob es eh gerade in den Stoff hineinpasst. Also auch so tendenziell, nicht bei allen ist das so. (Für diejenigen, die meine Meinung dazu nicht kennen: Alles in einem Schuljahr "durchzumachen" dient mehr der Lehrkraft, die dann zufrieden sein kann, dass sie alles geschafft hat; das heißt aber noch lange nicht, dass der Stoff auch bei den Schülern und Schülerinnen angekommen ist. Sich über längere Zeit intensiver mit etwas zu beschäftigen, heißt vielleicht, dass man nicht hundert Prozent des Stoffes "durchgebracht" hat, aber dass das, was man gemacht hat, auch wirklich sitzt. Und einmal etwas zu machen, was vom vorgegebenen Thema abweicht, kann meines Erachtens manchmal sinnvoller sein, weil man unter Umständen mehr auf die Lebenswelt der Schüler und Schülerinnen eingehen kann, Betroffenheit erzeugen kann und sie sich somit am Ende mehr mit der Sache identifizieren. Die Einstellung liegt aber vielleicht auch an den externen Prüfungen, auf die hingearbeitet wird.)
Kurzes Update (Dezember): Der Eindruck hat sich mittlerweile gelegt. Ich mache jetzt auch oft Inhalte, die nicht genau in den durchzunehmenden Stoff passen.
Das Niveau der Lehrer und Lehrerinnen übrigens ist meiner Meinung nach sehr gut (das widerspricht manchen anderen Erfahrungsberichten, die ich gehört habe). Natürlich kommt es vor, dass sie einmal einen falschen Artikel oder so verwenden, aber schließlich ist Deutsch nicht ihre Muttersprache, und es wäre ja nicht so, dass wir in unserer Muttersprache immer alles richtig machen ... Im Unterricht selbst sprechen die meisten so viel wie möglich deutsch (auch das widerspricht den Erfahrungen von anderen Leuten, wo nur französisch geredet wird und der Unterricht außer ein paar Sätzen an der Tafel deutsch-frei ist).
Lehrer-, Schüler-, Assistentenrolle
Ich habe gehört, dass das Verhältnis zwischen Lehrern und Lehrerinnen einerseits und Schülern und Schülerinnen andererseits sehr distanziert sein soll. Das stimmt eventuell. Aber auch in Österreich steht man nicht jedem Lehrer und jeder Lehrerin nahe.In Frankreich hat nicht die Klasse einen Raum, sondern jeder Lehrer und jede Lehrerin, und die Klassen gehen zu ihnen. Im Collège werden die Klassen in der Früh vom Schulhof abgeholt. Und: In einem Standort unseres Lycées werden sogar die Abschlussklassen von der Lehrerin abgeholt, was wenigstens nicht nur ich, sondern auch die Lehrerin seltsam findet.
In einem Seminar in Nancy wurde uns nahe gelegt, dass wir Assistenten und Assistentinnen uns von den Schülern und Schülerinnen abgrenzen sollen, z. B. durch Kleidung, unser Verhalten usw. Vielleicht trauen sich auch deshalb die beiden Lehrerinnen nicht, dieses Video herzuzeigen, weil sie sich sonst nicht so abheben. Ist natürlich nur ein Verdacht, und auch da gibt es Ausnahmen. Ein anderer Lehrer hat gemeint, dass es ihn nicht stören würde, wenn ich ein provokanteres Video herzeige.
Und meine Rolle? Die wechselt. Bei den Jüngeren fühle ich mich eher als Lehrer, bei den Leuten im BTS eher als eine Art Tutor (ich muss ja nicht beurteilen, ich helfe ihnen eher und führe Bewerbungsgespräche oder so). Und gerade am Anfang, als ich den Unterricht noch beobachtet habe, mitten in der Klasse sitzend, war ich sowieso wie ein Schüler. Ich glaube, ich habe versucht nicht zu schaukeln, aber ganz sicher bin ich mir da nicht.
Für die, die bis jetzt durchgehalten haben
Nächstes Mal gibt's wieder weniger durchgegenderten Text und mehr Bilder.
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