Als Deutschassistent werde ich natürlich in den Deutschstunden eingesetzt. Daneben habe ich aber auch in einer Euroklasse, die Geschichte auf Deutsch hat, unterrichtet (und zwar eine Stunde über Österreich-Ungarn jenseits der in Frankreich sehr bekannten Sissi-Filme).
Überhaupt habe ich den Aufenthalt in Frankreich ein bisschen dazu genutzt, mich mit der Geschichte des Landes auseinanderzusetzen, vor allem auch mit der Geschichte meiner Region Lothringen, die durchaus auch für ganz Europa interessant ist. Und dieser Post ist vor allem an jene gerichtet, die sich auch ein bisschen dafür interessieren. Jetzt bin ich kein Historiker und hab mir das meiste aus meinem Vorwissen, meinen Reiseführern und meiner Lieblings-Online-Enzyklopädie zusammengereimt. Aber wenn einer meiner Historikerfreunde diesen Beitrag liest und ihm ein Fehler auffällt, soll er mir bitte Bescheid sagen.
Von Karl dem Großen habe ich nicht viel gewusst, außer dass er am 2. April Geburtstag hat und dass irgendwas Wichtiges am 24. Dezember 800 passiert ist (und nicht einmal das stimmt, denn er ist am 25. Dezember 800 zum Kaiser gekrönt worden; ob am Vortag etwas Wichtiges passiert ist, weiß ich nicht, aber kurz vor einer Krönung zum Kaiser ist man sicher auch nervös oder so). Auf jeden Fall stirbt Karl der Große, der Kaiser des Fränkischen Reiches, 814, und nach seinem Tod wird dieses Reich im Vertrag von Verdun 843 in das Westfrankenreich und in das Ostfrankenreich aufgeteilt. Das Westfrankenreich ist der Vorläufer des heutigen Frankreichs, und aus dem Ostfrankenreich ensteht später das Heilige Römische Reich und in weiterer Folge Deutschland. Ja, es gibt noch eine kurze Zeit einen dritten Teil, das Lotharii Regnum, aber das wird schon kurze Zeit später wieder aufgelöst. Es ist aber vielleicht ganz interessant zu wissen, dass sich daraus der Name "Lothringen" ableitet.
Warum das so wichtig ist (nicht die Entstehungsgeschichte des Namens Lothringen, sondern die Reichsteilung)? Man könnte sagen, dass in einer Stadt keine Autostunde von mir entfernt die Aufteilung eines großen Teils Europas in Frankreich und Deutschland besiegelt wurde, und das ist sicher keine unwichtige Entscheidung für die Weltgeschichte. Und: Verdun steht als Symbol ja noch für viel mehr ... Aber dazu später.
In Nancy steht auf einem zentralen Platz eine Statue von Stanisław Bogusław Leszczyński:
Wie kommt eine Statue mit einem so polnischen Namen nach Frankreich? Das ist auch aus österreichischer Sicht interessant: 1736 will Franz Stephan von Lothringen Maria Theresia von Österreich heiraten. Die Begeisterung des französischen Königshauses hält sich aber in Grenzen, weil so der Einfluss der Habsburger in ihrer Nähe steigen könnte. Und so wird Franz Stephan dazu gedrängt, auf Lothringen zu verzichten. Er bekommt dafür die Toskana, ist ja auch nicht so schlecht. Und das Haus Habsburg heißt seither Habsburg-Lothringen.
Und als Herzog von Lothringen wird eben der polnische König Stanislaus I. eingesetzt, der praktischerweise auch noch gleich der Schwiegersohn des französischen Königs Ludwigs XV. ist, denn dadurch fällt das Herzogtum nach seinem Tod automatisch an Frankreich. Und seither ist Lothringen ein Teil von Frankreich.
Naja, mit Unterbrechungen. Nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870 bis 1871 werden das Elsass und ein Teil Lothringens (das heutige Département Moselle) als Reichsland Elsass-Lothringen in das Deutsche Reich eingegliedert. Und obwohl das Elsass und Lothringen davor keine gemeinsame Geschichte gehabt haben, werden seither immer wieder beide Regionen gemeinsam genannt, auch in französischen Reiseführern beispielsweise.
Dass ein Teil Lothringens zum Deutschen Reich gehörte und ein anderer Teil nicht, zeigt sich auch sehr schön an den Stadtbildern von Metz und Nancy. In Metz errichtet der deutsche Kaiser Wilhelm II. um den Stadtkern herum sehr protzige Monumentalbauten, um die Macht des Deutschen Reiches zu demonstrieren. Auch der Bahnhof in Metz (erstes Bild) wird gebaut, der den Transport einer kompletten Armee innerhalb von 24 Stunden ermöglichen soll:
In Nancy hingegen, das nicht zum Deutschen Reich gehört, entwickelt sich das Stadtbild in dieser Zeit ganz anders, obwohl es keine fünfzig Kilometer von Metz entfernt liegt. Nancy wird ab den 1880er Jahren eine Hochburg des Jugendstils, die auf einer Stufe mit Städten wie Paris oder Wien steht:
Im Ersten Weltkrieg findet die Schlacht von Verdun statt, die als Symbol für die Sinnlosigkeit von Krieg hervorragend geeignet ist, weil Hunderttausende Menschen in dieser Schlacht sterben und sich die Front dabei kaum verschiebt. (Ein bisschen mehr habe ich im Post "Erste Ausflüge nach Verdun und Metz" geschrieben.)
Nach dem Ersten Weltkrieg gehören das Elsass und Lothringen wieder zu Frankreich. Dass Metz einmal deutsch war, erkennt man auch leicht, wenn man die Namen auf der Gedenktafel für französische Gefallene am Metzer Bahnhof liest:
Verdun steht aber auch für die Versöhnung zwischen Frankreich und Deutschland, denn 1984 gedenken hier François Mitterand und Helmut Kohl gemeinsam der Toten des Ersten Weltkriegs:
Heuer wurde übrigens das fünfzigjährige Bestehen des Élyséevertrages gefeiert, in dem Deutschland und Frankreich verstärkte Zusammenarbeit vereinbart haben, und das war nach den Jahrzehnten und Jahrhunderten davor wohl nicht selbstverständlich ... Und auch für den Deutschunterricht in Frankreich war dies etwas ganz Besonderes. Zum Beispiel wurde in einer meiner Schulen eine Ausstellung zum Tag der deutsch-französischen Freundschaft und zu Toleranz gestaltet: